In einem bis auf den letzten Platz besetzen Refektorium begrüßte der MIT-Kreisvorsitzende Armin Schneider neben den Mitgliedern und Freunden der gastgebenden Vereinigungen zahlreiche Bürgermeister, Kreis- und Stadträte sowie viele Gäste aus Wirtschaft und Gesellschaft. In seiner Begrüßungsrede stellte Schneider klar, dass es nicht um dumpfe Schimpferei gegen die in der Vergangenheit so häufigen Kapriolen und Kehrtwenden der Bundespolitik in wichtigen Politikfeldern wie Energie-, Bildungs- oder Mindestlohnpolitik gehe, sondern darum zu Beginn des Jahres kritische Denkanstöße zu erhalten, um selbst zu reflektieren, wo man als politischer Mensch eigentlich steht. Schneider machte deutlich, dass sich immer mehr konservative Leistungsträger in der Bundesrepublik politisch heimatlos fühlen und innerlich emigrieren, wenn es der Union nicht gelingt, auch einmal „gegen den Strich und gegen die Gleichmacherei“ Stellung zu beziehen, insbesondere, wenn es um lange gegen den Zeitgeist verteidigte Positionen geht.
Josef Kraus nahm diesen Faden sofort auf, indem er der aktuellen Bildungspolitik attestierte, dass viele Beiträge nur „Bildungspalaver zu Vernebelung von Irrwegen und schlichte Propagandalügen“ sind, die im Sinne eines „Reizwortjournalismus“ auf dem Rücken der Kinder nur Themen „an- aber nicht durch-denken“.
Das Goethe-Zitat: „Es gibt nichts Entsetzlicheres als praktizierte Unwissenheit“ passt laut Kraus genau in die aktuelle Bildungsdebatte, da die Diskutanten meist ihre Unwissenheit mit einem erhöhten Aktionismus überlagern. Hier nahm Kraus kein Blatt vor den Mund, sondern geißelte insbesondere die grün-rote Bildungspolitik in Baden-Württemberg, die nun einen Schultyp, die Gemeinschaftsschule – laut Kraus ein Synonym für Gesamtschule – einführt, die in jahrzehntlanger Praxis in anderen – meist rot-grün regierten Bundesländern – eine Geschichte „durschlagender Erfolglosigkeit“ aufweisen kann. Dies lässt sich so Kraus nur dadurch erklären, dass „in kaum einem anderen gesellschaftlichen Bereich wird jedenfalls mit solcher Unbelehrbarkeit das Recycling längst auf der Müllkippe der Geschichte gelandeter Ideologien betrieben wie im Bereich der Bildungspolitik bzw. in dem Bereich, den manche für Bildung halten.“
Kraus ermunterte die Zuhörer, sich für eine leistungsorientierte Bildungspolitik einzusetzen und sich nicht der Gleichmacherei unterzuordnen. Nur eine qualitätsorientierte Schulpolitik sichert, so Kraus, einen eindeutig strukturierten und ergebnisorientierten (nicht nur erlebnisorientierten) Unterricht – einen Unterricht übrigens auch, in der zumindest der Lehrer weiß, wo es langgeht. Jedenfalls kann es nicht so weit kommen, dass Schüler ihre Lehrerin fragen: „Frau Lehrerin, müssen wir heute wieder, was wir wollen, oder dürfen wir, was wir sollen?“.
Kraus befürwortet gleiche Startchancen. Aber Chancen sind Chancen, aber keine Vollkasko-Garantien, zu Erfolgsaussichten können sie erst durch eigene Anstrengung werden. Der Staat hat dabei eine Bringschuld, das heißt, er muss ein möglichst leistungsfähiges und differenziertes Bildungswesen vorhalten, die Adressaten haben aber auch eine Holschuld! Gleichmacherei würde jede Anstrengungsbereitschaft gefährden, sie würde auch Eigenverantwortung und Eigeninitiative bremsen. Gleichmacherei wäre auch nur gefühlte Gerechtigkeit.
Deutschland braucht anstelle der üblichen Reform-Lyrik v.a. eine rationale und realistische Schulpolitik. Eine solche Politik sollte eine gesunde Skepsis pflegen gegen blinden Optimismus und gegen den Dogmatismus pädagogischer Scharlatane.
Zu guter Letzt schloss Kraus: „Es muss Schluss sein mit dem ständigen Herumexperimentieren an jungen Menschen. Jeder junge Mensch hat nur eine Bildungsbiographie. Das unterscheidet junge Menschen von Werkstücken. Mit Werkstücken kann man experimentieren: Misslingen sie, kann man sie einschmelzen, recyceln oder erneut auf eine Fertigungsstraße bringen. Mit jungen Menschen geht das nicht. Deshalb wünsche ich mir zukünftig mehr Behutsamkeit und mehr Umsicht in der Bildungspolitik – zumal in einem Land, das wie Baden-Württemberg zu den Spitzenländern gehört(e).“
Viele der Zuhörer suchten im Anschluss an den begeisternden Vortrag das persönliche Gespräch mit Josef Kraus, welcher noch einige Zeit in Riedlingen blieb, um zu diskutieren und Bücher von sich zu signieren. Seither ist in der Riedlinger Kommunalpolitik die Diskussion um die Einrichtung einer Gemeinschaftsschule neu entfacht. Insbesondere der Rektor der Werkrealschule sowie einige Leserbriefschreiber versuchen seither die Initiatoren dieser Veranstaltung sowie Herrn Kraus als „ewig Gestrige“ zu diskreditieren. Offensichtlich wurde dieses Klientel von der Veranstaltung und deren Erfolg sehr aufgeschreckt.